Presseinformation

Nr. 223 Steinfurt, 22. Juli 2019


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"Kein Schluck, kein Risiko. Kein Alkohol bei Kinderwunsch!“
Experten tauschen sich im Steinfurter Kreishaus über FASD aus

Kreis Steinfurt. „Ein Schluck kann während der Schwangerschaft nicht schaden.“ Dieser Gedanke ist weit verbreitet, stimmt aber nicht. Das hat die Ärztin Dr. Dorothee Veer bei den FASD-Fachtagen, die das Jugendamt und das Gesundheitsamt des Kreises organisiert hatten, im Steinfurter Kreishaus ausdrücklich betont: „Embryos ‚trinken‘ von Beginn an mit und können den Alkohol nur ganz schlecht abbauen. Schon geringste Mengen Alkohol können die körperliche und geistige Entwicklung verzögern - oft mit bleibenden Schäden - und damit zur Fetalen Alkohol-Spektrum-Störung führen.“

 

Da die ersten Wochen der Schwangerschaft unbemerkt verlaufen, rät Dorothee Veer Frauen ganz klar: „Kein Schluck, kein Risiko. Kein Alkohol bei Kinderwunsch! “ Dafür wollen das Jugendamt und das Gesundheitsamt des Kreises Steinfurt Frauen bzw. werdende Mütter aller Altersgruppen und Bevölkerungsschichten sensibilisieren und intensiver über die Fetale Alkohol-Spektrum-Störung (FASD) aufklären. Von FASD Betroffene sind ein Leben lang massiv beeinflusst, erklärt Dr. Anke Bösenberg, Leiterin der Stabsstelle Gesundheit beim Kreis Steinfurt: „Äußerliche Auffälligkeiten im Gesicht, Minderwuchs, Veränderungen der Organe, impulsives Verhalten bis hin zu geistiger Behinderung können Anzeichen für FASD sein. Im Kindesalter fallen Betroffene durch Unruhe oder geringes Schlafbedürfnis auf, verstehen Spielregeln nicht und werden vom Umfeld als ‚sehr anstrengend‘ empfunden. Junge Erwachsene sind oft noch auf dem Entwicklungsstand von Grundschulkindern. Die Handlungsplanung ist erheblich eingeschränkt.“ Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung werden jährlich etwa 10.000 Kinder in Deutschland mit FASD geboren – rund 2.000 davon leiden unter der ausgeprägtesten Form, dem Fetalen Alkohol-Syndrom. Häufig seien die Kinder und Jugendlichen in Pflegefamilien oder stationären Einrichtungen untergebracht. Erwachsene könnten auch betreut wohnen, sagt Bösenberg. Wichtig seien dann: „Klare Regeln und Strukturen, Förderung ihrer Stärken und jede Menge Geduld.“

 

Dass FASD-Betroffene ganz viel Struktur benötigen und kleine Veränderungen im Alltag sie verunsichern, bestätigte Janine Wolke am ersten Fachtag aus eigener Erfahrung: „Ein guter Tag ist für mich, wenn ich pünktlich aufstehe, meine Tasse Kaffee trinke und dann das Haus verlasse. Verschlafe ich an einem Tag, gerät alles durcheinander.“ An die 140 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Jugendhilfe, Therapie und Ärzteschaft gerichtet sagte sie: „Ihr lasst dann einfach die Tasse Kaffee weg. Aber bei uns geht das nicht“. Eine Betreuerin hilft der 23-Jährigen, die seit einiger Zeit in einer eigenen Wohnung lebt. Sie unterstützt Janine bei der Tagesplanung und teilt ihr das Geld ein, weil sie sonst alles sofort ausgeben würde. Auch einkaufen, putzen, Körperpflege, Straßenverkehr etc. können ein Problem für Betroffene sein.

 

Hilfen für betroffene Kinder und auch deren Familien bietet das Jugendamt des Kreises im Pflegekinderdienst, der Erziehungshilfe, der Jugendhilfe im Strafverfahren und der Vormundschaften. „Wir haben in der Vergangenheit eine Zunahme an Beratungen bezüglich betroffener Kinder und der Familien bzw. Pflegefamilien wahrgenommen. Diese Entwicklung und auch der Auftrag des Ausschusses für Gesundheit und Soziales über das Thema FASD aufzuklären, waren der Grund für die FASD-Fachtage“, erklärt Miriam Bischof vom Jugendamt, die die Veranstaltung mit Dr. Anke Bösenberg organisiert hat. Bei dem zweitägigen Treffen der pädagogischen, therapeutischen und medizinischen Fachkräfte aus dem Kreis Steinfurt wurde eines ganz deutlich: Eltern, Pflegeeltern, Betreuerinnen und Betreuer benötigen Unterstützung, um langfristig auf die Bedarfe der FASD-Betroffenen reagieren zu können. Für sie ist es eine anstrengende Aufgabe, den Kindern und Jugendlichen teils Tag für Tag immer wieder die gleichen Dinge beizubringen. Betroffene sind verbal oft sehr wortgewandt, können aber nicht aus Fehlern lernen und wiederholen so zwangsläufig Fehlverhalten.

 

Miriam Bischof weiß um diese Herausforderung und fasst die weiteren Pläne des Jugendamtes zusammen: „Wir müssen Systeme schaffen, die diesen Betroffenen gerecht werden. Pädagogen und Ärzte müssen so geschult sein, dass sie FASD wahrnehmen können. Prävention und Hilfeplanung erfordern neue Sichtweisen und langfristige Planungen.“ Bischof ist im Jugendamt zuständig für den Bereich „Frühe Hilfen“ und will in diesem Bereich die Netzwerkarbeit intensivieren: „Die professionsübergreifenden Netzwerke müssen weiter ausgebaut werden, um dem Thema FASD begegnen zu können und um mögliche präventive Ansätze erörtern zu können. Auch Betroffene sollen in die Netzwerkarbeit einbezogen werden.“

 

Einig waren sich die Teilnehmenden der FASD-Fachtage darin, dass diesbezüglich eine andere Herangehensweise in der Jugendhilfe erforderlich ist, um den Betroffenen gerecht zu werden und dass weitere Sensibilisierung für das Thema erreicht werden muss, denn: FASD ist komplett vermeidbar!

 

Neben dem Austausch und Vorträgen zum Thema FASD, wurde der Fachtag von zwei Ausstellungen begleitet. Das FASD-Netzwerk Nordbayern e. V. war mit seinem interaktiven Informationszelt „ZERO“ vor Ort, zu dessen Besuch alle weiterführenden Schulen im Kreis Steinfurt eingeladen waren. „Richtig oder falsch?“ war die Ausstellung des Confugium e. V. betitelt.





"Kein Schluck, kein Risiko: Kein Alkohol bei Kinderwunsch!“