Nr. 271 Kreis Steinfurt, 17. September 2024
Kreis Steinfurt. Ein Unfall, Gewalterfahrungen oder der Verlust eines geliebten Menschen – traumatische Erlebnisse treffen Betroffene häufig unvorbereitet und lösen unterschiedliche Reaktionen aus. Einige Menschen entwickeln aus einer solchen Erfahrung heraus eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die durch verschiedene Symptome das Leben der betroffenen Person stark beeinflussen kann. So ist es auch bei Frau W., die ihren vollen Namen aus persönlichen Gründen nicht veröffentlichen möchte. Nach einem traumatischen Erlebnis im Ausland traf sie in Deutschland auf professionelle Hilfsstrukturen, unter anderem beim Sozialpsychiatrischen Dienst des Kreises Steinfurt. Im Gespräch berichtet Frau W. von „wiedergewonnener Lebensfreude“, die sie auf die differenzierte Unterstützung im Umgang mit der PTBS zurückführt. Mit ihren Erfahrungen möchte Frau W. aufklären und Betroffenen Hoffnung geben. Das Interview begleitete Marianne Siemann, die als Mitarbeiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes ihre Wahrnehmungen aus der Praxis teilt.
Frage: Frau W., durch welche Symptome zeigt sich die Posttraumatische Belastungsstörung bei Ihnen persönlich? Welche Symptome sind allgemein typisch für die Erkrankung?
Frau W.: „Es gibt Momente, da kann ich keinen klaren Gedanken fassen. Ich schweife aus der Realität ab und fühle nichts als Leere. Das sind die ganz akuten Situationen. Im Alltag begleiten mich Panikattacken, Albträume und Angstzustände, die früher so stark ausgeprägt waren, dass sie mich an einem selbstständigen Leben gehindert haben.“
Marianne Siemann: „Diese Symptome sind typisch für das Krankheitsbild der PTBS, mit dem meine Kolleginnen beim Sozialpsychiatrischen Dienst und ich relativ häufig konfrontiert werden. Viele Betroffene berichten auch von sogenannten „Flashbacks“, also sehr präsenten Erinnerungen an das traumatische Erlebnis, die sich ganz plötzlich aufdrängen.“
Frage: Lässt sich der Auslöser der Erkrankung immer auf ein konkretes Erlebnis zurückführen?
Frau W.: „Bei mir ist das der Fall. Ich habe 30 Jahre lang in Südafrika gelebt und mich dort sozial engagiert. Ich war glücklich – bis ich vor zehn Jahren sexuelle Gewalt erlebt habe. Diese Erfahrungen haben die PTBS bei mir ausgelöst und sind durch die Träume und Erinnerungen bis heute präsent.“
Frau Siemann: „Das ist bei vielen Betroffenen der Fall. Häufig sind es individuelle Gewalterfahrungen oder Unfälle, die die Erkrankung auslösen. Wir kennen aber auch Klientinnen und Klienten, bei denen die PTBS auf erlebte Naturkatastrophen oder Verlusterfahrungen durch eine Trennung oder den Tod eines geliebten Menschen zurückzuführen ist. In jedem Fall ist es wichtig, das erlebte Trauma so schnell wie möglich aufzuarbeiten und durch professionelle Hilfe zu lernen, mit den Erfahrungen umzugehen.“
Frage: Sich selber einzugestehen, dass Unterstützung gebraucht wird, ist gerade bei psychischen Erkrankungen häufig nicht einfach. Frau W., was hat Sie dazu bewegt, Hilfe zu suchen bzw. anzunehmen?
Frau W.: „Direkt nach der Gewalterfahrung habe ich in Südafrika psychologische Unterstützung bekommen und mich in Arbeit gestürzt, um die Erinnerungen zu verdrängen. Richtig geholfen wurde mir aber erst nach meiner Rückkehr nach Deutschland, zu der ich mehr oder weniger durch meine Familie gedrängt wurde. Rückblickend weiß ich, dass ich das Trauma schon viel früher hätte aufarbeiten müssen. Mir selber war früher nicht bewusst, wie sehr mir die PTBS meine Lebensfreude genommen hat.“
Frau Siemann: „Das stellen wir bei unseren Klientinnen und Klienten häufig fest. Ihnen wird oft erst später bewusst, wie sehr sie unter den Folgen der Traumatisierung leiden. Oft bringen Angehörige oder Freunde sie dazu, Hilfsangebote aufzusuchen.“
Frage: Wie sehen die Hilfsangebote bei einer PTBS im Kreis Steinfurt aus?
Marianne Siemann: „Es gibt sowohl stationäre als auch ambulante Angebote, die sich im Kreis Steinfurt zu einem umfangreichen Hilfenetz ergänzen. Leider stoßen aber auch in unserer Region die begrenzten Therapieplätze auf einen hohen Bedarf. Letztendlich gibt es im Verhältnis zur Zahl der Betroffenen eine zu geringe Zahl an Therapieplätzen. Dabei kommt der Sozialpsychiatrische Dienst ins Spiel. Wir sind eine offene Anlaufstelle, ohne formale Warteliste. Unser Ziel ist es, psychisch Erkrankte in akuten Situationen zu unterstützen und in langfristige Hilfsstrukturen zu vermitteln.“
Frau W.: Ich habe im Kreis Steinfurt Hilfe erfahren, die ich so bisher nicht kannte. Nach einer psychischen Krise wurde ich zwölf Wochen in einer Tagesklinik behandelt. Die Therapie ist noch nicht abgeschlossen und findet momentan alle vier Wochen statt. Gleichzeitig erhalte ich Ergotherapie, um meine Konzentration zu fördern, und nehme das Angebot des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Anspruch, wenn ich kurzfristig Unterstützung brauche. Solche Hilfsangebote gibt es in Südafrika nicht, oder sie fallen unter private Leistungen und sind deshalb nicht bezahlbar. Umso mehr weiß ich die Strukturen hier zu schätzen.“
Frage: Frau Siemann, was steht für Sie und Ihre Kolleginnen bei der Behandlung einer PTBS im Fokus?
Marianne Siemann: „Gerade nach erlebten Traumata ist es ganz wichtig, den Betroffenen Sicherheit und einen geschützten Rahmen zu bieten. Unsere Gespräche finden deshalb immer entweder in einer gewohnten Umgebung, zum Beispiel in der Wohnung der Klienten statt, oder aber bei uns im Büro, in dem wir uns um eine angenehme und ruhige Atmosphäre bemühen. Meine Kolleginnen und ich versuchen gemeinsam mit den Betroffenen, eine geregelte Alltagsstruktur herzustellen, die ihnen Sicherheit gibt. Häufig ist der Sozialpsychiatrische Dienst die erste Anlaufstelle. Dann steht die Vermittlung in feste Therapiestrukturen im Mittelpunkt, zum Beispiel in eine Klinik oder Tagesklinik.“
Frage: Was unterscheidet das Angebot des Sozialpsychiatrischen Dienstes von anderen Therapieangeboten?
Frau W.: „Es ist flexibler und nicht so sehr an feste, regelmäßige Termine gebunden. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich kurzfristig Unterstützung brauche, finde ich hier immer ohne lange Wartezeit auf einen Termin ein offenes Ohr.“
Marianne Siemann: „Genau das zeichnet unser Angebot aus. Gerade im Bereich der Psychotherapie warten Patientinnen und Patienten häufig lange auf einen Therapieplatz. Wir sind oft auch kurzfristiger erreichbar und bieten ein erstes Hilfsangebot. Aufgrund unserer Vernetzung mit Kliniken, Therapeuten, stationären Einrichtungen oder der Notfallseelsorge gelingt es meist, unseren Klienten ein Therapieangebot zu vermitteln. Bis es soweit ist, bieten wir Gespräche und versuchen, eine stabile Grundlage für die folgende Behandlung zu schaffen.“
Das Angebot des Sozialpsychiatrischen Dienstes Kreis Steinfurt bietet unter Beachtung der Schweigepflicht kostenlose Beratung und Hilfen für psychisch Erkrankte und ihre Angehörigen. Weitere Informationen zum Dienst des Kreises Steinfurt und die Kontakte der Ansprechpartnerinnen und –partner in den 24 Städten und Gemeinden sind unter www.kreis-steinfurt.de/sozialpsychiatrischerdienst aufgeführt.
Das Interview ist Teil einer mehrteiligen Artikelserie, mit der anhand verschiedener Fallbeispiele die Arbeit und Unterstützungsmöglichkeiten des Sozialpsychiatrischen Dienstes vorgestellt werden.
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