Meldungsdatum: 29.04.2025
Seit 1991 verleiht die Stadt Osnabrück alle zwei Jahre den nach dem in Osnabrück geborenen Schriftsteller Erich Maria Remarque benannten Friedenspreis. In diesem Jahr wird die Auszeichnung zum 17. Mal vergeben. Er geht an den britisch-französischen Jurist und Schriftsteller Philippe Sands. Den Sonderpreis erhalten Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann für ihr Projekt »Trialoge«.
Der Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis wird im Sinne seines Namensgebers für belletristische, journalistische oder wissenschaftliche Arbeiten vergeben, die sich mit Themen des inneren und äußeren Friedens auseinandersetzen, sowie für beispielhaftes Engagement für Frieden, Humanität und Freiheit.
Philippe Sands Thema ist das Völkerrecht. Es ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Errungenschaft der Aufklärung. Es zu verteidigen gegen diejenigen, die es in Frage stellen, ist somit Aufgabe des zivilisierten Zusammenlebens aller Staaten. Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigen die fortschreitenden Angriffe auf die internationalen Institutionen des Völkerrechts und auf die Idee einer globalen Gerichtsbarkeit. Rechtsstaatlichkeit und Verfolgung von z.B. »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« sind bedroht – jüngst sichtbar in den Sanktionen der USA gegen den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) und dem Austritt Ungarns aus dem IStGH vor wenigen Wochen.
Solche Ressentiments destabilisieren die bewährte Zusammenarbeit der Staatengemeinschaft. In Zeiten, in denen Haftbefehle des IStGH an Bedeutung für das politische Handeln verlieren, ist es umso wichtiger, sich auf diese Werte und Normen zu besinnen, um zu verdeutlichen, dass Menschen- und Völkerrecht bewahrt werden müssen.
Aus diesem Grund erhält den mit 25.000 Euro dotierten Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der britisch-französische Jurist und Schriftsteller Philippe Sands, KC. Er ist nicht nur Professor für Recht am University College London und Gastprofessor für Recht in Harvard, sondern auch als Anwalt vor dem Internationalen Gerichtshof und anderen internationalen Gerichten tätig und fungiert als internationaler Schiedsmann.
In seinem Buch Rückkehr nach Lemberg erzählt er die Geschichte seines Großvaters, dem nach dem Anschluss Österreichs 1938 die Flucht gelang, und verwebt diese mit der Geschichte der Begriffe »Genozid« und »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«. Schon während des Zweiten Weltkriegs begannen die ebenfalls aus Lemberg stammenden Juristen Hersch Lauterpacht und Raphael Lemkin unabhängig voneinander, diese beiden Begriffe ins Völkerrecht einzubringen. Lauterpacht setzte sich für den Schutz von Individuen ein, Lemkin plädierte für den Schutz der Gruppe und prägte den Begriff »Genozid«. Lauterpacht gelang es, »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« bei den Nürnberger Prozessen zum offiziellen Teil der Urteile werden zu lassen. Heute ist auch »Genozid« im Völkerstrafrecht verankert.
»Sands beschreibt die juristische Konzeption dieser Begriffe. Auf deren Grundlage konnte der Schrecken des Nationalsozialismus benannt und geahndet werden. Er verdeutlicht dem Leser, dass es notwendig ist, für diese grundlegenden Rechte einzutreten und daran zu arbeiten, dass sie Bestandteil der internationalen Gerichtsbarkeit bleiben«, sagt die Juryvorsitzende, Prof. Susanne Menzel-Riedl, Präsidentin der Universität Osnabrück.
Oberbürgermeisterin Katharina Pötter, stellvertretende Juryvorsitzende, sagt: »Unsere Welt droht aus den Fugen zu geraten. Umso wichtiger ist es, zu bewahren und zu schützen, was in einer globalisierten Welt Maßstab für richtiges und falsches Handeln ist – und das ist das Recht, das Völkerrecht. Wer dieses Recht in Frage stellt und nicht anerkennt, zerrüttet, was sich die Menschheit durch viel Leid und Mut an Fortschritt erkämpft hat. In diesem Sinne ist die Arbeit von Philippe Sands ebenso beispielhaft wie ermutigend. Er zeigt, was auf dem Spiel steht.«
»Trotz der schöpferischen Qualität von Sands geht es bei unserer Wahl nicht nur um die Person und sein Werk, sondern um ein wichtiges Thema, wofür Sands ein herausragender Preisträger ist. Er ist ein Mensch mit enormem Sachverstand und Originalität und steht für das Internationale Völkerrecht und damit auch für das Schicksal der europäischen Nachkriegsgeschichte«, begründet die Jury ihre Wahl.
Sonderpreis
Das von Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann ins Leben gerufene Projekt »Trialoge« erhält den mit 5.000 € dotierten Sonderpreis. Mit der Auszeichnung soll die Notwendigkeit unterstrichen werden, mit jungen Menschen zu Themen in den Austausch zu treten, die ein Gespräch zerstören. Ihr zentrales Thema ist der Nahostkonflikt, der seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem folgenden Krieg im Gazastreifen auf eine Weise eskalierte, die ein friedliches Zusammenleben auf absehbare Zeit als unmöglich erscheinen lässt. Wegen ihrer jüdisch/israelischen und muslimisch/palästinensischen Herkunft sind sie von diesem Konflikt direkt betroffen. Sie sprechen mit Schülern und Schülerinnen über die emotionalen Herausforderungen dieses Konfliktes. Interkulturelle/interreligiöse Kommunikation »auf Augenhöhe« kann durch das multiperspektivische Gesprächsformat geübt und geschätzt werden, so dass eine Basis entsteht, sich im Sinne der Menschenrechte und des Völkerrechts einander zu nähern.
»Gerade deshalb verstehen wir diese Auszeichnung als Ermutigung und als Zeichen, dass das Ringen um Dialog, Menschlichkeit und Verständigung auch in dunklen Zeiten gehört, gesehen und gewürdigt wird. Dafür danken wir […] der gesamten Jury von Herzen«, erklärt die Projektleiterin des Trialog-Projekts, Sophie Rüter, in einer ersten Stellungnahme.
So ergänzt dieses Projekt das Anliegen des Hauptpreisträgers Philippe Sands durch die Arbeit mit jungen Menschen. »Trialoge« ist ein Projekt der Gesellschaft im Wandel gGmbH in Kooperation mit Transaidency e.V.
Der Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis wird unterstützt von der Stiftung Stahlwerk Georgsmarienhütte.
Die Preisverleihung findet statt am Donnerstag, 5. Juni, 19.30 Uhr, im Kongreß-Saal der OsnabrückHalle.
Hinweis an die Redaktionen:
Dieses und weiteres Pressematerial (Biografien, Fotos, etc.) finden Sie unter www.osnabrueck.de/friedenspreis im Bereich »Presse«.
Allgemeine Informationen zu den Preisträgern:
Hauptpreisträger Philippe Sands
Philippe Sands, KC (*1960) ist ein britisch-französischer Jurist und Schriftsteller. Er ist Professor für Internationales Recht und Direktor des Centre for International Courts and Tribunals am University College in London.
Philippe Sands familiäre Wurzeln liegen in Lemberg, wo der Großteil seiner Familie während des Zweiten Weltkriegs ermordet wurde. Sands studierte Jura in Cambridge, arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter am St. Catherine’s College in Cambridge und am dortigen University Research Center for International Law. Neben weiteren akademischen Ämtern am Kings College in London war er Professor für Rechtswissenschaften an der New York University Law School und hielt Gastprofessuren u.a. an der Universität Paris I Sorbonne, an der University of Melbourne, der University of Toronto und der Universität Lviv.
Sands war Mitbegründer des Zentrums für Internationales Umweltrecht (1989) und des Projektes über internationale Gerichte (1997). Er publiziert über Völkerrecht und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Als Rechtsbeistand hat er an zahlreichen internationalen Fällen gearbeitet. Hier eine Auswahl:
Neben zahlreichen juristischen Veröffentlichungen schreibt Sands u.a. für die Financial Times, The Guardian, die London Review of Books und Vanity Fair. Auch als Kommentator aktueller Fälle und Fragen des Völkerrechts beim BBC, Sky News, Al Jazeera und anderen ist er bekannt. Seine Publikationen bildeten die Grundlage für drei Theaterproduktionen, die sich mit dem Völkerrecht beschäftigen. Sein Buch East West Street war die Grundlage für die Dokumentation: My Nazi Legacy: What Our Fathers Did. Hierfür schrieb er das Drehbuch und taucht auch im Film auf. Sands war einige Jahre Vorstandsmitglied des Tricycle Theatre und seit 2013 ist er Vorstandsmitglied des English PEN, dessen Vorsitzender er bis 2023 war. Er setzt sich leidenschaftlich für humanitäre Ziele und das Völkerrecht ein und formulierte z.B. die Anklage gegen den chilenischen Diktator Pinochet. 2020 erschien von ihm auf Deutsch Die Rattenlinie – ein Nazi auf der Flucht, 2017 Rückkehr nach Lemberg, das mit dem renommierten Baillie Gifford Prize und dem Wingate Literaturpreis 2016 ausgezeichnet und Buch des Jahres bei den British Book Awards 2017 wurde. Zuletzt auf Deutsch erschienen: Die letzte Kolonie. Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Indischen Ozean, 2023.
Film
Auszeichnungen
Sonderpreisträger „Trialoge“:
Shai Hoffmann ist ein Sozialunternehmer, politischer Bildner und Aktivist. Als Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaft im Wandel gUG realisiert er aktivistische und politische Bildungsprojekte. Er initiierte die Israel-Palästina-Bildungsvideos und fuhr im Bus der Begegnungen vor der Bundestagswahl 2017 durch ganz Deutschland, um mit den Bürger*innen ins Gespräch zu kommen. Nach dem 07. Oktober 2023 initiierte Shai Hoffmann zusammen mit Jouanna Hassoun das Projekt “Trialoge”, bei dem sie deutschlandweit in Schulen mit Schüler*innen über ihre Gefühle zum Krieg in Israel und Gaza sprechen. Er ist zudem Moderator des Podcasts „Über Israel und Palästina sprechen“ und initiierte das gleichnamige Tiny Space-Projekt, um auf öffentlichen Plätzen mutige Räume zu schaffen, in denen die Menschen in den Dialog über den Nahostkonflikt treten können. In seinem Podcast geht es darum, die Vielfalt der Meinungen zu diesem komplexen Thema in unserer deutschen Gesellschaft sichtbar zu machen. Dabei beleuchtet Shai die Vielfalt der Meinungen zum israelisch-palästinensischen Konflikt, indem er unter anderem mit Expert:innen, Lehrer:innen und Pädagog*inneen ins Gespräch kommt.
Jouanna Hassoun ist Geschäftsführerin von Transaidency e.V., politische Bildnerin und Menschenrechtsaktivistin. Sie hat palästinensischen Hintergrund und floh als Kind wegen des Bürgerkriegs im Libanon nach Deutschland. Sie ist unter anderem mit dem Landesverdienstorden von Berlin für ihr bürgerschaftliches Engagement ausgezeichnet worden. Jouanna Hassoun hat zahlreiche Initiativen und Projekte mitgegründet, darunter im Jahr 2015 den Bildungsverein Transaidency e.V., der sich der humanitären Hilfe widmet. Zudem initiierte sie das Projekt "Make Hummus Not Walls", das sich mit dem Israel-Palästina-Konflikt beschäftigt und kürzlich erst das Projekt “Brücken Bauen”. Nach dem 7. Oktober initiierte sie gemeinsam mit Shai Hoffmann das Projekt “Trialoge”, bei dem sie deutschlandweit in Schulen mit Schüler*:innen über ihre Gefühle zum Krieg in Gaza und Israel sprechen.
Das Trialog-Projekt ist ein multiperspektivisches Gesprächsformat über den Nahostkonflikt, das von Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann initiiert wurde. Ausgehend vom Ausbruch des Krieges in Israel und in Gaza am 7. Oktober 2023 und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Folgen, einschließlich der starken Emotionalisierung, widmet sich das Projekt der großen Herausforderung, das Thema im Raum Schule besprechbar zu machen.
Homepage: Trialog – Israel & Palästina – Transaidency e.V.
Infotext Trialoge-Projekt (Ein Projekt der Gesellschaft im Wandel gGmbH in Kooperation mit Transaidency e.V.):
Das Ziel der Trialoge ist, gemeinsam mit jungen Menschen einen Ort des gegenseitigen Zuhörens, der Verständigung, des Aushaltens und des Wachsens zu schaffen, emotionalem Erleben in allen seinen Facetten einen Raum zu geben. Es geht darum, den enormen emotionalen Herausforderungen der Schülerinnen und Schüler, die der Konflikt mit sich gebracht hat, zu kanalisieren, sie zu verstehen und dadurch auch den Prozess des Verarbeitens und des Heilens anzuregen. Gleichzeitig soll dem großen Unwissen über die verschiedenen Grautöne und den zunehmenden menschenfeindlichen Vorurteilen und den zahlreichen Verschwörungstheorien im Zusammenhang des Nahostkonfliktes entgegengewirkt werden.
Die Trialoge werden von engagierten Trialog-Pat*innen durchgeführt. Damit beide Identitäten in den Trialogen repräsentiert sind, bringen unsere Pat*innen - als Betroffene des Konfliktes - also einerseits die jüdische/israelische und andererseits die palästinensische Identität mit in das Gespräch. Im Lernraum “Schule” geben sie den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, ihre Gedanken, Emotionen und auch kontroversen Ansichten zu äußern, sie zu diskutieren und selbst zu reflektieren. Auch Vorurteile und Sterotype, die mit Rassismus, Antisemitismus oder Gewaltverherrlichung einhergehen, sollen im Trialog-Gespräch einen Raum finden, da jene Narrative nur so gesellschaftlich korrigiert und aufgebrochen werden können.
Das Trialog-Projekt richtet sich an Schülerinnen und Schüler ab Klasse 8 und kann mit maximal 60 Schüler*innen durchgeführt werden. Die jungen Teilnehmenden können sowohl unterschiedlichen Fachklassen als auch verschiedenen Jahrgängen angehören. Das Trialog-Gespräch dauert 90 Minuten und wird in einem Stuhlkreis mithilfe von Emotionskarten als didaktisches Mittel durchgeführt.
Bei Presseanfragen Medienanfragen zu dem Projekt Trialoge:
presse@gesellschaftimwandel.org
Pressekontakt: Dr. Sven Jürgensen | Leiter Erich Maria Remarque-Friedenszentrum | Telefon 0541 323 4535 | E-Mail juergensen@osnabrueck.de
Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis 2025: Oberbürgermeisterin Katharina Pötter, stellvertretende Juryvorsitzende (links) und die Juryvorsitzende, Prof. Susanne Menzel-Riedl, Präsidentin der Universität Osnabrück.
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