Bocholt, 04. Mai 1999
Das Ende des Spanischen Winters 1599"
"Geschichte(n) aus Bocholt"
Bocholt (pd).
Am 16. November 1598 rückten im Amt Bocholt über 1600 Soldaten im Dienst des spanischen Königs mit 400 Pferden und einem Troß von 900 Personen ein und verlangten winterfeste Unterbringung, Geld, Verpflegung und Viehfutter. Die folgenden Wintermonate bis zum April 1599 bildeten eine bis dahin und seither unerhörte Schreckens- und Leidenszeit für die Bevölkerung der Stadt und ihr Umland.
Das Königreich Spanien besaß aufgrund komplizierter Erbrechte der spanischen Königsfamilie eine Provinz im Gebiet der heutigen Benelux-Länder, die sogenannten Spanischen Niederlande. Diese Provinz hatte gar keine Landverbindung mit dem Hauptland des spanischen Königreichs und wurde durch einen spanischen Statthalter von Brüssel aus regiert. Seit 1566 befanden sich die Adligen und Städte im Norden der Spanischen Niederlande, im Gebiet der heutigen Niederlande, im Aufstand gegen ihren König. Der Grund war die reformierte Konfession der Niederländer, die die "katholische Majestät" (so der Titel des spanischen Königs) und ihre Brüsseler Statthalter nicht dulden wollten. Spanien versuchte jahrzehntelang, die Erhebung militärisch niederzuschlagen. Auf diese Weise befanden sich seit dem Ende der sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts spanische Truppen in den Niederlanden, die in ständigen Kämpfen mit den aufständischen Niederländern standen. - Diese Auseinandersetzungen sind in die europäische Geschichte eingegangen als Spanisch-Niederländischer oder Achtzigjähriger Krieg. - Unter "spanischen Truppen" sind dabei nicht Militäreinheiten mit aus Spanien stammenden Soldaten zu verstehen, sondern Einheiten mit von Spanien angeworbenen Söldnern, die wie in einer Fremdenlegion aus "aller Herren Länder" kamen. Die Bezahlung und Versorgung der Söldner erfolgte in aller Regel nicht aus der spanischen Staatskasse, sondern ergab sich aus Plünderungen, Gelderpressungen und Kriegskontributionen, die aus den Landstrichen herausgeholt wurden, in denen sich die Truppen jeweils aufhielten.
Am Ende des 16. Jahrhunderts wurden die Truppen von Don Francisco de Mendoza, Admiral von Aragon, befehligt. Mendoza galt als überzeugter Feind der Evangelischen und damit der Niederländer. 1597 hatten die Niederländer in einem erfolgreichen Zug unter anderem Gelderland, dabei auch Bredevoort und Groenlo, erobern können. Mendoza rückt im Herbst 1598 von Südwesten mit einer 24.000 Mann umfassenden Streitmacht auf das Aufstandsgebiet zu, überschritt Anfang November den Niederrhein, drang dann aber nicht in die östlichen Niederlande ein, sondern bezog erst einmal in den benachbarten deutschen Territorien Köln, Kleve, Mark und Münster Winterquartier. Er selbst mit seinem Stab quartierte sich bei Orsoy ein, sein für damalige Verhältnisse großes Heer verteilte sich aus Versorgungsgründen - die östlichen Niederlande waren wegen der Kriegshandlungen 1597 verarmt und daher für die Überwinterung ungeeignet - im deutschen Grenzgebiet am Rhein und in Westfalen. Am 16. November erschienen spanische Truppen nebst Troß in einer Stärke von insgesamt 2.550 Personen mit 400 Pferden vor Bocholt, um in der Stadt, in den Bauerschaften des Amtes und in den Dörfern Rhede und Dingden Winterquartier zu beziehen. Auf militärischen Schutz seines Landes seitens des münsterischen Fürstbischofs konnte niemand hoffen: Das Fürstbistum verhielt sich in den Kämpfen neutral und hatte auch weder ein Interesse, seine Westgrenze abzuriegeln noch eine Chance, die Spanier abzuwehren oder im Lande zu bekämpfen. Die Befestigungen der Stadt hatten genügt, um in den Jahren zuvor herumstreifende kleinere Soldatentrupps von Übergriffen abzuhalten. Sie waren aber kein Hindernis für eine Truppe dieser Größe, zumal die Spanier im Norden der Stadt ein Dutzend Kanonen in Stellung gebracht hatte, die imstande gewesen wären, die ganze Stadt in Trümmer zu legen. Zwar hatten die Bürgermeister noch in den ersten Tagen des November 1598 mit Geld"geschenken" an die Herzöge Friedrich und Heinrich van den Bergh als Unterbefehlshaber der Spanier einer Einquartierung vorzubeugen versucht, wohl ahnend, was sie für die nur etwa 2.000 Einwohner zählende Stadt bedeutete, aber vergebens. Auch ein Vertrag zwischen Stadt und Oberbefehlshaber Mendoza über die Begrenzung einer Einquartierung auf 800 Mann war sein Papier nicht wert: Nachdem die 800 Einlaß gefunden hatten, ließ sich der Rest nicht mehr aufhalten, so daß sich nun etwa soviel Militär und Troß - Offiziersburschen, Pferdeknechte, Prostituierte, Marketender, Feldgeistliche u. dgl. - wie Einwohner in der Stadt befanden und durch den Winter gebracht werden wollten. Die folgenden Wintermonate wurden für die Bocholter eine schwere Zeit.
Allein die Lebensmittelversorgung für eine verdoppelte Anzahl von Essern war problematisch. Vorräte waren nicht angelegt worden, ein Zukauf aus dem weiteren Umland war wegen dessen Belastung mit anderen Truppenteilen nicht möglich. So wie die städtischen Abmachungen mit dem Oberbefehlshaber nichts wert waren, galten auch andere Vorstellungen von Recht und Billigkeit nicht mehr. Die Soldaten gaben sich nicht mit der landesüblichen Kost zufrieden, verlangten große Mengen Fleisch, Wein statt Bier, Weiß- statt Schwarzbrot. Die Quartiergeber wurden ohne Rücksicht auf ihre Möglichkeiten drangsaliert, erpreßt, genötigt und beraubt, auch Vergewaltigung und Mord kamen vor. Selbst die Bettler wurden noch ausgeplündert. Die einheimische Bevölkerung begann zu hungern, die Selbstmordzahlen stiegen, einige Familien besonders aus den Bauerschaften wanderten aus, als sie völlig ruiniert waren. Anfang 1599 reisten der Bürgermeister Johannes then Boxstart und der Schöffe Gerhard Raesfelt zum Oberbefehlshaber Mendoza, um für Bocholt Erleichterung der Einquartierungslasten zu erflehen. Tatsächlich wurden daraufhin einige Truppenteile nach Goch und Emmerich abgezogen.
Einige Tage nach Oster 1599, am 15. April, zogen die Spanier endlich wieder ab. Der zeitgenössische Chronist Prior Johannes Spick OSC jubelte mit einem Psalmenzitat: "Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat, lasset uns froh sein und jauchzen." Der entstandene materielle Schaden für die Bevölkerung des Amtes wurde später auf etwa 25.000 Reichstaler, das beinahe Fünfzigfache einer Jahressteuerleistung veranschlagt.