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Hochwasserschutz am Niederrhein – In Rees entsteht ein etwa zwei Kilometer langer Polderdeich - Hochwasser soll Raum zum Ausbreiten gegeben werdenRees,
12.07.2013
Mit ihrem Schild schiebt die Kettenraupe den Sand vor sich her, immer wieder fährt sie vor und zurück und verteilt das Baumaterial über die künstliche Erhöhung. Am Polder Lohrwardt im niederrheinischen Rees-Haffen herrscht derzeit reger Betrieb, entsteht dort doch ein neuer Deich mit einer Länge von knapp zwei Kilometern. Der sogenannte Banndeich mit einer Breite von etwa 50 Metern und einer Höhe von durchschnittlich 4,50 Metern soll als rheinferner Polderdeich künftig Hochwasser abhalten, das der direkt am Rhein gelegenen Deich nicht mehr halten kann. Dem Hochwasser soll Platz gegeben werden, sich auszubreiten und ins Polderareal zu fließen.
Rund 430.000 Kubikmeter Boden müssen für den Bau des Polderdeichs bewegt werden. „Wir stehen hier auf dem Stützkörper des künftigen rheinfernen Banndeichs“, sagt Dipl.-Ing. Martin Schulte, während er durch den Sand schreitet und einen Blick nach Westen – Richtung Rhein – wirft. Der Fluss liegt etwa 1,5 Kilometer entfernt und ist an dieser Stelle nicht zu sehen, weil die Sichtachse durch Bäume verstellt ist. Schulte ist Beratender Ingenieur und Gesellschafter/Geschäftsführer des Büros Gewecke und Partner aus Lohmar, seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich beruflich mit dem Hochwasserschutz. Auf Einladung der Ingenieurkammer-Bau NRW gibt er einen Einblick in seinen Arbeitsalltag. „Wir bauen hier einen sogenannten Drei-Zonen-Deich: Die Seite zum Wasser besteht aus Lehm, dann kommt der Stützkörper aus Sand und zum Landesinneren schließt sich eine Auflastberme als Filter aus Kies-Sand an“, erklärt er. Der Deich soll das Hochwasser zwar abhalten, wird der Hochwassereinstau aber zu lange, muss er die Sickerlinie im Deich durchlassen können. Deswegen wird der Deich zur Binnenseite hin immer durchlässiger.
Nach den verheerenden Überschwemmungen in Süd- und Ostdeutschland ist das Thema „Hochwasserschutz“ auch in Nordrhein-Westfalen wieder in den Fokus gerückt. Laut dem Landesumweltministerium müssen allein am Rhein etwa 1,4 Millionen Menschen sowie Sachwerte in Höhe von 125 Milliarden Euro durch Hochwasserschutzanlagen geschützt werden. In NRW übernehmen häufig Deichverbände den Hochwasserschutz - wo dies nicht der Fall ist, müssen Städte oder Gemeinden diese Aufgabe selbst betreiben.
In Rees-Haffen ist der Deichverband Bislich-Landesgrenze zuständig, der Verband umfasst eine Deichstrecke von 45 Kilometern und ein Gebiet von 230 Quadratkilometern, mehr als 70.000 Menschen soll er vor Überschwemmungen schützen. „Wir sind damit der größte Deichverband in NRW“, sagt Geschäftsführer Holger Friedrich. Etwa 50 Prozent der Deiche im Verbandsgebiet sind bislang saniert. Die Genehmigungen für die Deichbaumaßnahmen erteilt die Bezirksregierung Düsseldorf. Bei der „Genehmigungsgeschwindigkeit“ sieht Friedrich allerdings noch Verbesserungsbedarf. „Die Anträge könnten sicherlich zügiger bearbeitet werden, wenn die Genehmigungsbehörde mit ausreichend Personal ausgestattet wird.“
Zudem sorgte in diesem Frühjahr die Tatsache für Schlagzeilen, dass das Land die direkten Mittel für den Deichbau von 40 auf 30 Millionen Euro gesenkt hatte – wobei die Landesregierung zugleich weitere 20 Millionen Euro über ein Kreditprogramm anbietet. Nach Ansicht des Landes können damit alle geplanten und genehmigten Projekte realisiert werden. Geschäftsführer Friedrich weist aber darauf hin, dass am Niederrhein noch mehr Deichbaustellen betrieben werden könnten – wenn die Genehmigungen durch die Bezirksregierung schneller erteilt würden. Weil die Genehmigungsverfahren aber dauerten, könnten die Mittel für die Deichsanierung auch nicht komplett abgerufen werden.
Bei den Deichbauarbeiten in Rees-Haffen wollen die Verantwortlichen die Planungen nun um einen wichtigen Aspekt ergänzen: Aus dem bislang geplanten und genehmigten Sommerpolder soll ein Taschenpolder werden, die zunächst geplante Absenkung des am Rhein gelegenen Deichs würde dann entfallen. Die von dem Poldergebiet aufgenommene Hochwassermenge könnte so von 17 Millionen auf 26 Millionen Kubikmeter steigen. Das würde die Rückhaltekosten von der derzeit genehmigten Variante (3,60 Euro pro Kubikmeter) auf 3,10 Euro senken. Die Kosten für das gesamte Projekt könnten auf „einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag“ wachsen, erklärt Wasserbauingenieur Schulte. Genauere Angaben zu den Ausgaben könnten erst im weiteren Planungsverlauf genannt werden, noch ist der Ausbau zu einem Taschenpolder auch nicht genehmigt.
Geschäftsführer Friedrich war nach eigenen Worten „überrascht“ von den Schäden, die das Hochwasser in diesem Jahr in Teilen Deutschlands hinterlassen hatte. „Dass es nach den Überschwemmungen von 2002 noch einmal so schlimm kommt, hätte ich nicht gedacht.“ Grundsätzlich weiß er aber auch: “100-prozentigen Hochwasserschutz kann es nicht geben!“
Von vergleichbaren Katastrophen wie in Süd- und Ostdeutschland ist die Region am Niederrhein verschont geblieben. Ende des 19. Jahrhunderts hatte es den letzten Deichbruch gegeben, heftigere Hochwasser ereigneten sich im Dezember 1993 und im Januar 1995. Das sogenannte Bemessungshochwasser von 14.500 Kubikmetern pro Sekunde habe man am Niederrhein „faktisch noch nicht erlebt“, betont Wasserbauingenieur Schulte. Dennoch würden in der Region gemäß den Vorgaben des Landesumweltministeriums die Deiche auf ein Hochwasserereignis ausgerichtet, wie es – statistisch gesehen - nur alle 500 Jahre eintritt. Wobei selbst die schönste Statistik von der Realität schnell überholt werden kann. Deshalb sei die rasche und zügige Sanierung der Deiche eine wichtige Aufgabe, bekräftigt Geschäftsführer Friedrich. Schließlich drohten im Falle einer schweren Überschwemmung im Verbandsgebiet Hochwasserhöhen von bis zu acht Metern.
Auch der Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW, Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, unterstreicht die Notwendigkeit zur zügigen Sanierung der Deiche. Nach seiner Ansicht können Unwetter, Starkregen und steigende Flusspegel an den Flüssen in NRW immer wieder für Probleme sorgen: „Ereignisse wie Hochwasser treten immer schneller ein. Da gibt es keine lange Vorwarnzeit. Bereits ein kleines Leck an einem Deichbauwerk kann dann zu einer Katastrophe führen.“ Aufgrund der großen Wassermassen und des starken Wasserdrucks könnten auch Überflutungsflächen und Rückhaltebecken schnell an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Dann könnten Wohngebiete überschwemmt und Menschenleben gefährdet werden.
Von Michael Bosse, Ingenieurkammer-Bau NRW (mit Bildern) Michael BossePressesprecher Ingenieurkammer-Bau NRW Zollhof 2 40211 Düsseldorf Tel. 0211-130 67 132 Fax 0211-130 67 150 Mobil 0170-6341750 E-Mail bosse@ikbaunrw.de Die Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen (IK-Bau NRW) ist die berufsständische Selbstverwaltung und Interessenvertretung der im Bauwesen tätigen Ingenieurinnen und Ingenieure in Nordrhein-Westfalen. Mit mehr als 10.000 Mitgliedern ist sie die mitgliederstärkste Ingenieurkammer in Deutschland. |