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Münster, 22.11.2011

Gemeindefinanzierungsgesetz 2011 kommt auf den Prüfstand
Rund 60 Kommunen in NRW wollen Verfassungsbeschwerde einlegen / Gutachter Deubel: Fundamentale Systemfehler im Gesetz

Münster. Das Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) 2011, das die Verteilung von rund 8 Milliarden Euro auf die Städte und Gemeinden, Kreise und Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen regelt, enthält fundamentale Systemfehler. Diesen Nachweis führt der ehemalige rheinland-pfälzische Finanzminister Prof. Dr. Ingolf Deubel. Zum Beispiel belohnt das Land Kommunen mit vielen Einwohnern, die auf soziale Leistungen angewiesen sind: Es ersetzt ihnen nicht nur alle direkten und indirekten Kosten im Bereich Soziales, sondern überweist ihnen darüber hinaus noch einen Extrabonus. Dieser beträgt im Jahr 2011 pro Leistungsempfänger ("Bedarfsgemeinschaft") 1331 Euro, 2012 soll er auf 3514 Euro steigen. "Dieses Bonus-System finanzieren Städte und Gemeinden mit wenigen Bedarfsgemeinschaften und Kommunen wie Münster, die aus dem Finanzausgleich überhaupt keine Schlüsselzuweisungen erhalten", stellt Finanzexperte Deubel fest. Konsequenz: Rund 60 Städte und Gemeinden wollen vor dem Verfassungsgerichtshof NRW in Münster in den kommenden Wochen Verfassungsbeschwerde einlegen.

Der Streit um den Finanzausgleich in Nordrhein-Westfalen schwelt seit Dezember 2010. Das Land und ein Großteil der Städte und Gemeinden haben unterschiedliche Auffassungen, wie die Kommunen am Steueraufkommen des Landes zu beteiligen sind. Geregelt ist das im GFG, das der Landtag schließlich im Mai 2011 beschlossen hat. Gegen das Gesetz hatte sich bereits vor seiner Verabschiedung heftiger Widerstand auf kommunaler Ebene formiert. Mit dem GFG 2011 sind im Verteilungsschlüssel nämlich einige Kenngrößen so verändert worden, dass der Großteil der Kommunen mit niedrigeren Zuweisungen auskommen muss oder gar keine Zuweisungen mehr erhält.

308 von 396 Städten und Gemeinden benachteiligt

Die betroffenen Kommunen haben bei dem Finanzwissenschaftler Prof. Deubel eine Expertise in Auftrag gegeben. Ergebnis ist eine Studie, die Deubel am Dienstag (22. November) in Münster vorstellte. Der ehemalige Finanzminister führt auf 217 Seiten den akribischen Beweis, dass der Verteilungsschlüssel des Gemeindefinanzierungsgesetzes nicht einmal methodischen und fachlichen Mindeststandards genügt. Das GFG 2011 benachteiligt unter dem Strich 308 der 396 Städte und Gemeinden in NRW.

Den Kommunen ist es ernst

Die beteiligten Kommunen lassen keinen Zweifel daran, dass es ihnen mit dem angekündigten Gang vor den Verfassungsgerichtshof ernst ist. Bürgermeister Richard Borgmann aus der Stadt Lüdinghausen zur Stimmungslage der Kommunen: "Wir haben viele Gespräche mit dem Land geführt, und zwar vor Verabschiedung des GFG. Alles vergeblich, keiner unserer Hinweise wurde im Gesetz berücksichtigt. Jetzt bleiben nur noch die Verfassungsrichter."

Gutachter Prof. Deubel bescheinigt dem GFG 2011 "verschiedene, zum Teil gravierende methodische Fehler, welche zu einer massiven Fehlverteilung der vorhandenen Finanzmasse führen. Alleine durch die systematische Übernivellierung beim sogenannten Soziallastenansatz kommt es zu einer verfassungsrechtlich mehr als bedenklichen Umverteilung von rund 112 Millionen Euro." In der Konsequenz erhalten Kommunen 2011 pro "Bedarfsgemeinschaft" 5680 Euro vom Land - gut 30 Prozent mehr, als ihnen tatsächlich an direkten und indirekten Kosten im Bereich Soziales entstehen. Deubel: "Im GFG 2012 steigt diese Übernivellierung nach den bisherigen Planungen des Landes sogar auf über 82 Prozent. Einem kostendeckenden Betrag von 4265 Euro pro Bedarfsgemeinschaft sollen nach den Eckdaten des Landes Schlüsselzuweisungen von 7779 Euro gegenüber stehen."

Bürgermeister Heinz Öhmann aus der Stadt Coesfeld: "Alle Städte und Gemeinden, die für eine niedrige Zahl an Bedarfsgemeinschaften gearbeitet haben, verlieren durch diese Neuregelung. Durch die Übernivellierung müssten sie aber ein Interesse daran haben, möglichst viele Arbeitslose zu haben. Hier setzt das Land falsche Anreize."

Städte wie Münster könnten noch mehr draufzahlen

Selbst Städte wie Münster, die wegen ihrer Steuerkraft überhaupt keine Schlüsselzuweisungen erhalten, sind durch die Neuregelungen im GFG 2011 negativ betroffen, erläutert Oberbürgermeister Markus Lewe: "Im Stärkungspakt Stadtfinanzen, der gerade im Landtag beraten wird, ist eine neue Umlage vorgesehen. Alle Städte und Gemeinden, die keine Schlüsselzuweisungen vom Land erhalten, will das Land ab 2014 mit dieser Umlage zur Kasse bitten. Je höher der 'Extra-Bonus' im falsch berechneten Soziallastenansatz des GFG ausfällt, umso mehr muss Münster über die neue Umlage an das Land abführen." Auch für Münster sei es sehr wichtig, dass das GFG mit den tatsächlichen Kosten im Sozialbereich kalkuliert. "Sonst gehen Kommunen wie Münster in Zukunft nicht nur bei den Schlüsselzuweisungen leer aus, sie zahlen sogar noch mehr drauf."

Neben dem Soziallastenansatz im Verteilungsschlüssel beklagen die Städte und Gemeinden aber auch die grundsätzlich unzureichende Finanzausstattung über das GFG. Seit den 1980er Jahren beteiligt das Land die Kommunen an seinem Steueraufkommen mit unverändert 23 Prozent. Zwar ist die Finanzmasse des GFG 2011 mit 6,72 Milliarden Euro für Schlüsselzuweisungen so hoch wie nie zuvor, doch haben auch die von den Kommunen zu tragenden Ausgaben ein nie dagewesenes Niveau erreicht.

Land NRW steht finanziell besser da als die Kommunen

Das Land kann sich bei der Festlegung der Finanzmasse für die Kommunen nicht darauf berufen, dass die eigene Finanzsituation noch schwieriger sei. Prof. Deubel: "Vergleicht man die ökonomisch aussagekräftigen Ergebnisrechnungen und nicht - wie das Land es tut - die allein liquiditätsbezogenen Finanzierungssalden, ist die Situation eindeutig: Die Finanzsituation der Kommunen war im Jahr 2010 mit einem Defizit von rund 7,7 Milliarden Euro deutlich schlechter als die des Landes mit einem entsprechenden Defizit von 2,6 Milliarden Euro."

Verfassungsbeschwerde noch im Jahr 2011

Das Gutachten belässt es nicht beim Nachweis von Fehlern und Mängeln in der Systematik des GFG. Es macht konkrete Vorschläge, wie der Finanzausgleich besser ausgestaltet werden kann, zum Beispiel durch eine Begrenzung des Soziallastenansatzes auf einen kostendeckenden Wert und verschiedene Korrekturen im Kreisfinanzausgleich.

Die Ergebnisse der Expertise sind Grundlage für die Verfassungsbeschwerde gegen das GFG 2011, die von den beteiligten Kommunen noch in diesem Jahr in Münster eingelegt wird. Hiermit ist die Rechtsanwaltskanzlei Wolter Hoppenberg (Hamm/Münster) beauftragt.

Gutachten im Wortlaut:

Das Gutachten "Mehr Gerechtigkeit im kommunalen Finanzausgleich?" (Bad Kreuznach 2011, 217 Seiten) steht zum Download unter der Adresse (3,1 MB):

www.stadt-muenster.de/ms/download/gfg2011-gutachten.pdf

Das Gutachten enthält für alle 396 NRW-Kommunen Berechnungen zur Finanzzuweisung entsprechend dem vorgeschlagenen, verfassungskonformen Verteilungsschlüssel.




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Kurzfassung des Gutachtens

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