Münster (SMS) "Verstehst Du das? - diese Frage ist Titel und Ausgangspunkt für ein internationales Ausstellungsprojekt, das zeitgleich in Münster und in Arnsberg gezeigt wird. Im Fokus: Neue-Medien-Kunst- aus Südosteuropa mit Videoarbeiten, Installationen und Fotografien von Künstlern, die ihre Wurzeln in dieser Umbruchregion haben und gleichzeitig im westlichen Europa leben und arbeiten.
Das Projekt - gemeinsam kuratiert von Dr. Gail B. Kirkpatrick und Dr. Necmi Sönmez - zeigt in der Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster Arbeiten von Maja Bajević (Paris/Sarajevo) / Danica Dakić (Düsseldorf/Sarajevo), Esra Ersen (London/Istanbul), Stefan Nikolaev (Sofia/Paris) und Milica Tomić (Belgrad/Berlin). Der Kunstverein Arnsberg präsentiert Danica Dakić und Peter Marifoglou (Düsseldorf).
Südosteuropa gilt als politischer Brennpunkt. Griechen in Albanien, Türken in Griechenland, Albaner im Kosovo: Der Balkan ist ein Gebiet am Rande Europas, in dem vielfältige Bevölkerungsgruppen um ihre kulturelle wie politische Identität ringen. Die künstlerischen Produktionen aus diesen Regionen reflektieren diese gesellschaftlichen Ambivalenzen. Will man sie verstehen, muss man die vielschichtigen ethnischen und religiösen Überlagerungen begreifen.
Die allesamt westeuropäisch oder "westlich" ausgebildeten Künstler beziehen ihre Motivation und Anregungen aus ihrem sozialen, kulturellen und politischen Umfeld. In ihrer Arbeit liefern sie aber mitunter kritische Protokolle von Übersetzungsprozessen, interpretieren Geschichtsprozesse und geben persönlich gefärbte Einblicke in Epochen der Weltpolitik, die auch wir manchmal nicht wirklich verstehen. Die Themen sind zugleich lebensnah-individuell und politisch-exemplarisch: Schulalltag, Generationen- und Rollenkonflikte, Mutter-Tochter-Beziehungen, Liebe, Heimat, Selbstbestimmung und das Leben in einer Welt, in der man nicht verwurzelt ist.
Realismus der gelebten Erfahrung
„Verstehst Du das?“ Diese Frage ist auch ein Resonanz-Test, ein Kontakt-Versuch, eine Überprüfung der Haltbarkeit von Zugehörigkeit. Identität - wie abstrakt-global man auch bereit ist, diese zu definieren - benötigt lokale Verankerung, wirkliche Präsenz und ein soziales Umfeld, das allein durch geglückte und gelebte Erfahrung fundiert sein kann. Sie kann durch nichts - auch nicht durch die „Flucht in mentale Räume“ - ersetzt werden. Dieser „Realismus der gelebten Erfahrung“ ist der inhaltliche Ausgangspunkt für das Ausstellungsprojekt. Er führt zum Kern dessen, was Heimat unter den Bedingungen des Anderswo sein kann: Das Gefühl, verstanden zu werden, in dem was man war, ist und sein könnte.
Versteh mich bitte: richtig!
Der Ausstellungstitel bezieht sich auf eine Video-Installation von Danica Dakić „Role-Taking, Role Making“ (2006), die mit der Frage „Verstehst Du mich?“ endet. Sie ist die Ausgangsfrage dieses auf Dialog angelegten Ausstellungsprojektes. In dem Video passieren „unglaubliche Dinge“, Bildsprachen und Orte verschränken sich, eine Roma-Theatergruppe in Köln gibt ihre letzte Vorstellung. Auch Laien aus dem Kosovo inszenieren merkwürdig schöne Metaphern. Man spricht Romanes. Das Spiel auf der Bühne und das Leben - wer soll das noch auseinander halten?
Insbesondere die Arbeiten im Media-, Video- und Filmbereich bieten künstlerische Produktionsformen, die experimentelle Synthesen und eine gewisse Unabhängigkeit von der internationalen Kunstpraxis erlauben. Die künstlerischen Positionen bewegen sich zwischen dokumentarischer Informationsvermittlung, formal-ästhetischer Strategie und emotionaler Wiedergabe der individuellen Lebenssituation. Sie berühren uns, weil sie eigentlich sagen: „Versteh’ mich bitte: richtig!“.
Die künstlerischen Positionen zeigen die inhaltliche Eigenständigkeit dieser jungen Kunstszene in ihrer Auseinandersetzung mit Themen der „kulturellen Identität“. Die Ausstellung widmet sich hauptsächlich Künstlerinnen und Künstlern, die aus der Erfahrung im Umgang mit den neuen Medien heraus, diese nur von Fall zu Fall in ihre Arbeit einbeziehen, ohne sich wie „Medien-Künstler“ darauf zu fixieren. Ihre Arbeitsweisen sind vielfältig und lassen sich nicht unter einem Begriff subsumieren. Ziel ist es, die unterschiedlichen Konzepte zu präsentieren, ohne sie auf einen gemeinsamen Nenner zu zwingen.
Die Übersetzung kultureller Identität
Die zeitgenössische Kunst aus Südosteuropa bewegt sich auf einem neuen Kurs. Große thematische Ausstellungen wie „In Search of Balkania", 2002 (Peter Weibel), „In den Schluchten des Balkan“, (2003, René Block) und „Blut & Honig - Zukunft ist am Balkan“ (2003, Harald Szeemann) haben unterschiedliche Aspekte der zeitgenössischen Bildenden Kunst aus südost-europäischen Ländern gezeigt. Biennalen (Istanbul, Cetinje, Periferic), Kunstmuseen und Ausstellungshäuser haben in den vergangenen Jahren immer wieder interessante künstlerische Positionen aus der rasant sich entwickelnden Kunst- und Kulturszene der Regionen und Länder präsentiert, die für den Begriff „Balkan“ stehen. Südosteuropa kann seither weder länger als unbekanntes Territorium gelten, noch als blinder Fleck betrachtet werden. Eine differenzierte Betrachtung künstlerischer Phänomene und der Austausch auf gleicher Augenhöhe ohne den Filter westeuropäischer Vorurteile und Vorstellungen stehen jetzt als Herausforderungen an.
Info: Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster, Hafenweg 28, 27. Oktober bis 17. Dezember; dienstags bis freitags 14 bis 19 Uhr, samstags/sonntags 12 bis 18 Uhr; Kunstverein Arnsberg, Königstraße 24, 28. Oktober bis 10. Dezember, freitags bis sonntags 12 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung.
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