27.11.2024 - Stadt Hanau
Ergebnisse des Erstchecks zu NS-Raubgut in den musealen SammlungenWerkstattausstellung „Den Objekten auf der Spur. Einblicke in die Provenienzforschung“ endet am Sonntag, 1. Dezember 2024
Hanau. Finden sich Verdachtsfälle auf Raubgut in den musealen Sammlungen der Städtischen Museen Hanau? Dies sollte ein im Frühjahr 2024 begonnenes Forschungsprojekt herausfinden. Nun liegen die ersten Ergebnisse vor.
Im vom Museumsverband Hessen (MVH) durchgeführten „Erstcheck“ durchleuchtete die Provenienzforscherin Dr. Jennifer Chrost die musealen Sammlungen der Städtischen Museen Hanau, des Konrad-Zuse-Museums in Hünfeld und des Wolfgang-Bonhage-Museums in Korbach auf Verdachtsmomente auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Objekte. Das fünfmonatige Projekt wurde gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste.
Für die Sammlungen der Städtischen Museen Hanau und des Hanauer Geschichtsvereins 1844 e.V. konstatierte Chrost weiteren Forschungsbedarf. „Der Fokus lag beim Erstcheck darauf, mögliche verdächtige und intensiver zu beforschende Objekte in den musealen Sammlungen zu klassifizieren. Jennifer Chrosts Forschungsergebnisse bilden nun die Grundlage für die Fortführung der Provenienzforschung“, erläutert Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky und unterstreicht die Bedeutung der Forschung und von Restitutionen: „Wir sind durch unsere Geschichte verpflichtet, Zweifeln und Verdachtsfällen auf NS-Raubgut in unseren öffentlichen Kultureinrichtungen nachzugehen. Es ist essentiell, unrechtmäßig erworbene Objekte zu identifizieren und diese zurückzugeben. Dieser moralischen Verpflichtung kommen wir selbstverständlich nach.“
Chrost untersuchte in Hanau die Eintragungen in den Zugangsbüchern und auf Karteikarten. „Ihr Bericht umfasst die Sammlungsgeschichte, dokumentiert die Quellenlage und die weiter zu beforschenden Objekte. Er gibt uns einen Überblick und zugleich Empfehlungen für das weitere Vorgehen“, erläutert Martin Hoppe, Fachbereichsleiter Kultur, Stadtidentität und Internationale Beziehungen.
„Der Fokus beim Erstcheck lag auf dem Entzug aus jüdischem Besitz oder von politischen Verfolgten oder Vereinen. Hierzu wurden Zugänge von Kulturgut zwischen 1933 und 1945 geprüft, aber auch einige Neuerwerbungen nach 1945, deren Provenienz es weiter zu erforschen gilt“, beschreibt Jennifer Chrost die Vorgehensweise. Herausgekommen ist eine Liste von rund 620 Objekten, für die Chrost weiteren Forschungsbedarf sieht. Weitere Verdachtsfälle können hinzukommen, da im Erstcheck keine vollumfängliche Prüfung der Zugänge erfolgen konnte.
Dies umfasst 163 verdächtige Provenienzen vor und nach 1945. Die Objekte sind verdächtig und intensiver zu beforschen, da sie während der NS-Zeit erworben wurden, beziehungsweise der Ankauf bei Institutionen geschah, die nachweislich im Zusammenhang mit der Verwertung von entzogenem Kulturgut standen (Finanzamt, Pfandleihanstalt, Historisches Museum Frankfurt, Kunsthandlung Ettle Frankfurt oder Auktionshaus Hahn Frankfurt). Ferner handelt es sich um Objekte, die aufgrund ihrer Objekteigenschaften beziehungsweise ihres Verwendungskontextes auf verfolgte Vorbesitzer hindeuten können. Hierzu zählen Judaica, Objekte der Loge Braunfels und mögliche Silberzwangsabgaben, darunter zahlreiche Alltagsgegenstände wie Besteck. „Das Zugangsbuch listet Objektbeschreibung, Kaufdatum und -preis sowie Verkäufer und Erwerbungskontext auf. In vielen Fällen fehlen jedoch Angaben, was nun zu weiterem Forschungsbedarf zur Provenienz führt, ob das Objekt rechtmäßig erworben wurde“, erläutert Jennifer Chrost ihre Ergebnisse. Im Zuge des Erstcheck-Projekt führte Chrost auch einige Autopsien für Gemälde durch und konnte für diese eine unbedenkliche Provenienz belegen.
Die zweite Kategorie der unklaren Provenienzen von Neuerwerbungen und Schenkungen zwischen 1933 und 1945 umfasst 69 Objekte ohne konkreten Verdacht. Zu den Einlieferern ist derzeit nichts bekannt und daher wird weiter geprüft, wann und wie das Objekt in den Besitz der Einlieferer gelangte und aus welchen Beweggründen er es weiterveräußerte bzw. verschenkte. Hinzu kommen 40 unklare Provenienzen nach 1945. Dies betrifft eine Kunsthandlung, die auch während der NS-Zeit aktiv war.
Des Weiteren finden sich im Zugangsbuch weitere 350 Eintragungen für diverse Silberobjekte ohne Zugangsdatum und Provenienz. Da sich auch hierunter Objekte aus Silberzwangsabgaben befinden könnten, werden sie weiter erforscht.
„Ein konkreter Fall von NS-Raubgut liegt nach derzeitigem Kenntnisstand nicht vor. Jennifer Chrosts Liste gibt uns nun den Fahrplan vor. Wir werden die fehlenden, unklaren und verdächtigen Provenienzen in mehreren Forschungsprojekten untersuchen, bis die Herkunft jedes Objekts geklärt ist“, ordnet Dr. Markus Häfner, Leiter der Städtischen Museen Hanau, die Forschungsergebnisse ein und erläutert das weitere Vorgehen.
Die Sammlungen der Städtischen Museen Hanau und des Hanauer Geschichtsvereins 1844 e.V. umfassen mehr als 100.000 Objekte. Zu den bedeutendsten Beständen zählen Werke von Moritz Daniel Oppenheim, Anton Wilhelm Tischbein, August Gaul, Georg Cornicelius und Reinhold Ewald, die Sammlung Brüder Grimm, Hanauer Fayencen, Eisenkunstguss und Silber, das künstlerische Archiv der Juwelen-Manufaktur Friedrich Kreuter, die Papiertheater-Sammlung sowie zahlreiche archäologische Funde wie den Kesselstädter Münzschatz mit rund 300 Denaren und Deutschlands älteste Quittung (ein Bruchstück eines hölzernen Schreibtäfelchens aus dem Jahr 130 nach Christus).
Den Verdachtsfällen soll in mehreren Forschungsprojekten nachgegangen werden, um sie zu klären. Hierzu wurde von Seiten der Stadt Hanau und der Städtischen Museen Hanau bereits ein entsprechender Förderantrag beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gestellt. Angesichts des Umfangs der Sammlungsbereiche sollen in einem ersten Folgeprojekt zunächst 160 Verdachtsfälle aus den Objektgruppen Kunsthandwerk (Silber, Fayence, Porzellan) und Judaica weiter erforscht, Provenienzen rekonstruiert, Tiefenrecherchen und Autopsien erstellt und historische Kontexte geprüft werden. Diese Objektgruppen sind neben den Beständen Gemälde, Grafik und Plastik aufgrund der Hanauer Stadtgeschichte von besonderer Bedeutung. In ihnen spiegelt sich – wie in der Malerei – die gesellschaftliche, wirtschaftliche und künstlerische Entwicklung Hanaus wider. Während der NS-Zeit baute man die für Hanau bedeutenden kunsthandwerklichen Bestände an Gold- und Silberschmiedekunst und Fayencen weiter aus.
„Ziel des Folgeprojektes ist es, größtmögliche Transparenz über die Herkunft der Objekte und ihre Provenienz zwischen 1933 und 1945 zu erhalten, Verdachtsmomente zu klären und zu wissen, welche Objekte auf legalem Wege erworben wurden“, erklärt Häfner. „Sollten sich durch die weiterführenden Forschungen Hinweise auf einen verfolgungsbedingten Entzug bei Objekten der Sammlungen ergeben oder erhärten, werden die betroffenen Kulturgüter in der Lost Art-Datenbank veröffentlicht, um eine faire und gerechte Lösung mit den rechtmäßigen Eigentümerinnen und Eigentümern zu finden“, betont Oberbürgermeister Kaminsky. Die Beteiligten hoffen auf eine positive Förderzusage. Dann könnte das Folgeprojekt im Frühjahr 2025 starten und weitere Klarheit zu unklaren Provenienzen in den musealen Sammlungen bringen.
Letzte Gelegenheit - Ausstellungssende
Werkstattausstellung „Den Objekten auf der Spur. Einblicke in die Provenienzforschung“
bis Sonntag, 1. Dezember 2024
Im Ratspokalsaal von Schloss Philippsruhe ist noch bis Sonntag, 1. Dezember 2024 eine Auswahl der aktuell überprüften Objekte zu sehen.
Pressekontakt: Ute Wolf, E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@hanau.de
Kontaktdaten:
Stadt Hanau
Öffentlichkeitsarbeit
Am Markt 14-18
63450 Hanau
Dieser Meldung sind folgende Medien beigefügt: