Pressemeldung der Stadt Bocholt

Bocholt, 09. Februar 2000

"Voll auf die 12"

Gewaltpräventions-Projekt vom Jugendhaus LIFE

Bocholt (pd).

"Wir haben festgestellt", so Ulrik Störzer, Leiter des Jugendhauses LIFE zu Beginn der Pressekonferenz, "dass die Jugendlichen, die unsere Einrichtung besuchen, Gewalt als legitimes Mittel sehen, ihre Ziele und Wünsche durchzusetzen oder einfach nur ihren Frust abzubauen". Aufgrund der Vandalismusschäden sei der Kontakt mit der Polizei automatisch zustande gekommen. Aufgrund dieser Erfahrungen habe man unbedingt etwas initiieren müssen. Aus der Zusammenarbeit mit dem am Ende des Textes benannten Personen ist dann das Gewältpräventionsprojekt "Voll auf die 12" entstanden. In den zwei Wochen vom 14. bis zum 25. Februar 2000 hat das Team Veranstaltungen für die Jugendlichen vorbereitet, die die Jugendlichen nicht nur ansprechen sondern ihnen helfen sollen, zum Einen Gewalt als nicht so selbstverständlich hinzunehmen, sie nicht als legitimes Mittel zur Erreichung von Zielen oder zum Frustabbau zu sehen und gleichzeitig die Fähigkeit zu erlernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen.

Am Dienstag, 15. und Mittwoch 16. Februar, jeweils in der Zeit von 8.55 bis 13 Uhr in der Overbergschule gibt es Selbstbehauptungstraining für Mädchen. Diese Training hat das Ziel, Mädchen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stützen und ihr Selbstvertrauen zu fördern. Durch Aufklärung, selbstbewusstes Auftreten und das wissen, sich gegenüber dem "stärkeren Geschlecht" wehren zu können, sollen Mädchen und junge Frauen in die Lage versetzt werden, sich vor Anmache, sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen zur Wehr zu setzen. Ulrich Kolks, Mitarbeiter des Kommissariats Vorbeugung sieht es vor allem als wichtig an, dass die Mädchen Belästigungen nicht einfach hinnehmen sollen und diese dadurch bei den Belästigern noch legalisieren, sie sollen vielmehr die Fähigkeit entwickeln, sich selbst zu behaupten und derartige Belästigungen erst gar nicht zulassen. An diesen beiden Tagen (jeweils von 16 - 17.30 Uhr) findet Deeskalations- und Antigewalttraining statt. Die Jugendlichen sollen hierbei in die Lage versetzt werden, Konflikte ohne Anwendung von Gewalt zu lösen. In besonderer Weise wird hierbei die Etikettierung, Stigmatisierung sowie das Entstehen von Vorurteilen thematisiert. Zudem soll die Einsicht in die Mechanismen der Gewaltentstehung mit Hilfe von Rollenspielen vertieft werden. Dabei wird auf die Methoden und Techniken der Gesprächsführung ebenso eingegangen wie auf den Bereich der nonverbalen Kommunikation. Dadurch dass die Gruppengröße auf max. 15 Teilnehmer beschränkt ist, soll die Erfahrung von gruppendynamischen Prozessen verstärkt erfahrbar gemacht werden. Die Jugendlichen sollen sich dabei mit ihrer Rolle auseinandersetzen, soziale Fähigkeiten und Sensibilität weiterentwickeln und lernen, gewaltfrei mit Konflikten umzugehen. Diesem Deeskalationstraining soll das Projekt "Streitschlichtung an Schulen" folgen. Dabei sollen geschulte Streitschlichter Gespräche bei Konflikten auf einem vernünftigen Niveau ermöglichen nicht aber für Lösungen des Konfliktes sorgen.

Am Dienstag, 22. Februar, Mittwoch, 23. Februar und Donnerstag, 24. Februar findet jeweils in der Zeit von 16 - 17 Uhr ein Selbstverteidigungskurs mit Cornelia Addick, ausgebildete Kampfsportlerin für Mädchen statt. Das Angebot, das während der Gewaltpräventionstage angeboten wird, soll und kann natürlich nur dazu dienen, den Teilnehmerinnen einen Einblick in Techniken und Möglichkeiten der Selbstverteidigung zu geben. Trotzdem soll während dieser Tage deutlich werden, dass man sich als Mädchen in einer bedrohlichen Situation nicht gleich als Opfer fühlen muss, sondern durchaus das Bewusstsein haben zu können, sich effektiv zu wehren. Dragan Jovanovic, Trainer für Break-Dance und selbst Vater eines Jugendlichen, der sich häufiger im Jugendhaus LIFE mit seinen Freunden trifft, will mit dem Angebot von Break-Dance (15. - 25. Februar zu verschiedenen Zeiten) zwei Ziele erreichen. Zum einen soll dieses Sportangebot genutzt werden, eigene Aggressionen auf positive Weise abzubauen. Der Wunsch, ein Sportangebot für Jugendliche in Form von Break-Dance anzubieten, kommt hierbei aus den Reihen der Jugendlichen selbst. Mit Hilfe von Regeln, die die Jugendlichen zu diszipliniertem Umgang untereinander animieren, steht hier das Miteinander im Team im Vordergrund. Zum anderen ist angedacht, bei Bedarf aus diesem Projekt eine feste Gruppe zu bilden, die sich wöchentlich im Discokeller des Jugendhauses LIFE trifft. Mitmach-Theater mit anschließendem Gesprächsangebot: Der engagierte Künstler Heinz Diedenhofen setzt sich in seinem Theaterstück "Klatschkopf" mit der Gewaltbereitschaft junger Menschen auseinander, insbesondere mit Argumentationen und Hintergründen gewalttätigen Verhaltens gegen Ausländer und Minderheiten. Es fragt nach der Verfassung der Gewalttäter, nach ihrem Verständnis von Stärke und Männlichkeit, nach ihren Macht- und Ohnmachtsgefühlen... . Durch das Fragen nach den Opfern und Mitläufern wird abschließend versucht, den Mythos des Heldenhaften der Gewalt anzugreifen. Mindestens 50 Personen sollten es sein, die am Dienstag, 15. Februar, 17 Uhr, zu Heinz Diedenhofen kommen.

In Zusammenarbeit mit Edgar Holtick von der Jugendgerichtshilfe der Stadt Bocholt wird eine Fahrt zum Training der ersten Mannschaft des FC Schalke 04 stattfinden. Geplant ist außerdem ein Termin mit einem Spieler, bei dem die Jugendlichen die Möglichkeit haben sollen, Fragen zu stellen. Insbesondere soll hierbei auch das Thema Gewalt und Aggressionen in Verbindung mit Fußball thematisiert werden. Besonders Fußball kann für Jugendliche eine sinnvolle Möglichkeit sein, seine Aggressionen zu kanalisieren und konstruktiv zu nutzen. Höchstwahrscheinlich wird der Spieler Ebbe Sand sein, da die Mannschaft nach dem Training aber direkt ins Trainingslager geht steht das noch nicht fest. Bei der Besichtigung des Schießstandes in Spork am Freitag, 18. Februar (17 - 19 Uhr) und am Dienstag, 22. Februar (18 - 20 Uhr) soll anhand der Demonstration von scharfen Waffen das Gefahrenpotential demonstriert werden, das von ihnen ausgeht. U. a. soll demonstriert werden, welche Auswirkungen Schreckschusspistolen haben, die aus unmittelbarer Nähe auf Gegenstände bzw. Körper gehalten werden. Beaufsichtigt und angeleitet wird dieses Angebot vom Bezirksbeamten Hr. Schmeinck der Polizei Bocholt sowie von Mitarbeitern des Schießstandes Spork. Um effektiver arbeiten zu können, wir die Gruppengröße auf max. 8 Personen pro Veranstaltung beschränkt. Mittels Meditationsübungen soll den Jugendlichen am Mittwoch, 23. Februar von 19 - 20 Uhr eine alternative Möglichkeit geboten werden, Aggressionen abzubauen und innerlich ruhiger zu werden. Vorbereitet und durchgeführt wird dieses Programmangebot von Klaus Brücks, Pastoralreferent der Pfarrgemeinde Liebfrauen. Bogenschießen wird von Lehrern der Overberg-Sonderschule durchgeführt. Ziel ist es, durch Konzentrationsübungen von Körper und Geist eigene Aggressionen unter Kontrolle zu halten und sie durchs Bogenschießen zu kanalisieren. Beim Bogenschießen erfährt man nicht nur schnell positive Ergebnisse, durch das schnelle Erlernen werden den Jugendlichen auch Zusammenhänge und Regeln schnell deutlich.

Begonnen wird das Anti-Gewalt-Programm am Montag, 14. Februar 2000 in der Zeit von 15.30 bis 18.30 Uhr mit der Veranstaltung "Die Sache mit dem Essen und der Figur" zum Thema Essstörungen. Gutes Aussehen, esssen, alles in allem "eine gute Figur abgeben" - um diese Themen drehen sich häufig die Gedanken vieler Mädchen. Dahinter stecken meist tiefer liegende Fragen, wie zum Beispiel "Werde ich gemocht?" "Wie wirke ich auf Jungen?" "Mag ich mich eigentlich selbst?". Geleitet wird dieses Angebot von Anni Nagel von der Fachstelle für Suchtvorbeugung und Sbine Jenneskens vom Jugendhaus LIFE. "Bei Mädchen ist es oft im Gegensatz zu Jugend so," so Anni Nagel, "dass sich durchaus vorhandene Aggressionen nicht nach außen sonder nach innen richten. Ich bin im Übrigen sehr froh, dass es Ulrik Störzer gelungen ist so viele Stellen für diese Projekt an einen Tisch zu bringen, die Zusammenarbeit sollte nach diesem Projekt nicht abgebrochen werden".

Benedikt Püttmann, stv. Leiter des Jugendamtes der Stadt Bocholt, sieht das Projekt auch sehr positiv: "Die Zahlen bei uns in Bocholt sind im Vergleich zu anderen Städten sicherlich nicht dramatisch, dennoch ist Handlungsbedarf gegeben und im Jugendhilfeausschuss ist auch schon ein Massnahmenkatalog vorgestellt worden. Ein Projekt ist auch "Voll auf die 12", das wir natürlich voll und ganz unterstützen. Die offenen Jugendarbeit muss weiterhin vermehr gefördert werden und Präventivmassnahmen müssen früh ansetzen, eventuell auch schon im Kindergarten. Auch das geplante Streitschlichterprogramm in Schulen ist ein beispielhaftes Projekt für Gewaltprävention".

"Wir werden nach den beiden Wochen", so beendete Ulrik Störzer die Pressekonferenz, zu der aufgrund der sehr weiten Verteilung der Einladung über den städtischen Presseservice auch Interessierte aus der Nähe von Bonn extra nach Bocholt gereist waren, "die Ergebnisse zusammenstellen, damit eventuell in Bocholt und Umgebung andere Stellen ebenfalls positive Erfahrungen daraus ziehen können".

Mitarbeiterteamt für das Projekt "Voll auf die 12"

  • Jörg Bicker, Rektor der Overberg Sonderschule
  • Klaus Brücks, Pastoralreferent der Pfarrgemeinde Liebfrauen
  • Gregor Newzella, Referendar der Overberg-Schule
  • Ullrich Kuhlmann, Jugendpfleger des Jugend- und Sportamtes der Stadt Bocholt
  • Edgar Holtick, Sozialarbeiter der Jugendgerichtshilfe der Stadt Bocholt
  • Wilhelm Schmeinck, Bezirksbeamter der Polizei Bocholt: zuständig für Gewaltprävention mit Jugendlichen
  • Irmgard Iding, Leiterin des Kommissariats Vorbeugung für den Kreis Borken (KV): zuständig für Selbstbehauptungstrainings bei Mädchen
  • Ulrich Kolks und Meinolf Müller, Mitarbeiter des KV: zuständig für Deskalationstrainings- und Antigewalttrainings bei Jugendlichen
  • Sabine Jenneskens, pädagogische Mitarbeiterin des Jugendhauses LIFE: zuständig für die Konzepterstellung, die Organisation und Durchführung des Projektes "Voll auf die 12". Schwerpunkt: pädagogische Arbeit mit Mädchen.
  • Ulrik Störzer, Leiter des Jugendhauses LIFE: zuständig für die Konzepterstellung, die Organisation und Durchführung des Projektes "Voll auf die 12". Schwerpunkt: pädagogische Arbeit mit Jugendlichen ab 12 Jahren.
  • Michael Helten, päd. Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle Bocholt: zuständig für die Anti-Drogen-Arbeit mit Jugendlichen des Offenen Treffs im Jugendhaus LIFE.
  • Martin Wißmann, Journalist beim Studio Klausenhof in Dingden: zuständig für eine Radiosendung zum Thema Gewaltprävention von und mit Jugendlichen des Jugendhauses LIFE, das im Rahmen des Bürgerfunks des Radio NRW ausgestrahlt werden wird.
  • Katharina Paus, Pädagogikstudentin der Uni-Münster